Die Illusion schwand schnell

Als typisch Spätgebärende war auch ich beseelt von dem Gedanken, eine echte Supermami zu werden. Ich hatte ja schließlich nicht umsonst neben viel Lebenserfahrung, jede Menge Mütterliteratur intus und zudem verfügte ich über gewisse Vorkenntnisse und praktische Erfahrung. Mein Mann hatte aus erster Ehe eine Tochter mit in unsere Beziehung gebracht und in meiner Funktion als Teilzeitmutter wurde ich immer überaus gelobt. Zudem hatte ich noch eine fundierte Ausbildung und schon einige Jahre Berufserfahrung als Schüler- und Familiencoach. He Moment mal, was sollte da noch kommen? Und es kam noch eine Menge! Eine Menge an Dingen, an Situationen, an Begebenheit, an Erlebnissen, an Gefühlen und an Bedürfnissen, von denen ich bisher weder gelesen, gelernt, gehört oder auch nur im Entferntesten geahnt hatte, dass es diese überhaupt gibt.

Die Illusion eine Supermami zu werden, schwand schneller, als sich meine Brüste nach der Geburt mit Milch füllen konnten. Zeitweise erwische ich mich sogar bei dem Gedanken, dass „ich viel zu blöd bin für diesen Job“, dass alle anderen bessere Mütter sind als ich und schämte mich zeitweise in Grund und Boden für mein mieses Verhalten. Denn eines lernte ich mit Sicherheit über die Jahre: Es ist gar nicht so einfach eine gute Mutter zu sein. Viel leichter ist es dagegen eine schlechte, gemeine, ungerechte, langweilige, rechthaberische, bestimmende, launische, zynische und inkonsequente Mutter zu sein. In manchen ganz dunklen Momenten konnte mich nicht einmal der Gedanke retten, dass ich mich doch wenigstens bemühte, denn auch dazu hatte ich manchmal einfach keine Kraft mehr.

Gerettet hat mich vor einigen Jahren das Buch „Mary“ von Ella Kennsington alias Bodo, das ich jedem, der sich müde, abgeschlafft und glücklos fühlt nur wärmstens ans Herz legen kann. Ich weiß heute nicht mehr, welche Zeilen des Buches es waren, die mich so bewegten, aber ich fing wieder an,  die Dinge so zu sehen, wie sie in Wahrheit sind. Dass ich gar nicht so schlecht bin, wie ich immer dachte, dass ich gar nicht alles so machen muss, wie es in den Büchern steht, dass ich gar nicht so perfekt sein muss, wie es die Medien und deren Experten immer wieder rüberbringen möchten. Allein schon deswegen, weil ich es eben einfach gar nicht bin! Ich bin eben nicht immer gut drauf, ich habe eben nicht immer Lust zu spielen, ich mag eben auch mal Zeit für mich haben. Aber ich habe es geliebt zu stillen, habe meine Kinder mit Babymassage verwöhnt und ihnen nie ein Fertiggläschen vorgesetzt. Ich liebe es zu kuscheln, vorzulesen und gemeinsame Abenteuer zu erleben. Meine Kinder haben nie eine Kita von innen gesehen und besuchen reformpädagogische Schulen, aber sie schauen zu viel Fernsehen und naschen mehr als es unserem Zahnarzt lieb ist. Wir leben nicht so, weil wir der Meinung sind, dass das der beste Weg für alle Kinder, Mütter, Familien und Menschen ist, sondern weil das unser Weg ist. Unser Weg, den wir uns gemeinsam gewählt haben und der uns passt.

Heute weiß ich umso mehr, dass es in erster Linie darum geht „ich selbst zu sein“ und meinen eigenen Weg zu gehen. Klar wusste ich das irgendwie schon immer, aber so richtig deutlich wurde mir das erst durch meine Kinder. Denn sie spiegeln mir gnadenlos, wenn ich mal wieder versuche mich zu verstellen, versuche perfekt zu sein oder so wie andere. Inzwischen macht es mir einen riesigen Spaß mich selbst zu reflektieren, denn ich entdecke immer wieder Dinge, die ich selbst so ganz anders mache, als all die Anderen und so ganz anders als es in all den Büchern steht. Nicht weil ich unbedingt etwas anders machen möchte, sondern einfach, weil es so passt, es passt zu mir, es passt zu meiner Familie und es passt zu unserem Leben. Und seitdem ich weiß, dass „ich einfach ich bin“, kann ich auch viel besser akzeptieren, dass „die Anderen einfach sie sind“ – mit allen Stärken und Schwäche, mit allen Ecken und Kanten, mit allem Glanz und Gloria. Seit ich weiß, dass ich nicht perfekt bin, es gar nicht sein kann, hat sich bei uns zu Hause ein Ritual eingeschlichen: Immer wenn ich etwas ganz toll gemacht habe, darf ich mich in Superhelden-Position vor der Familie aufbauen und alle rufen gemeinsam „Supermami!“.

Wenn das kein Happy End ist.