Das größte Glück der Welt
Das schönste im Leben ist die Geburt eines Babys – dachte ich zumindest. Und so war es auch, als unser erster Sohn geboren wurde. Er war vom ersten Tag an ein richtiger Sonnenschein. Wir konnten ihn überall mit hinnehmen, er spielte, gluckste und lachte fröhlich vor sich hin und die Male, die er in den ersten 6 Monaten weinte, kann ich an einer Hand abzählen. Ja, so einfach kann es sein, Mutter zu sein. Wir legten also nach und bekamen, knapp 2 Jahre später, einen zweiten Sohn. Und von da an wurde alles anders. Denn unser zweites Baby schrie – fast 1 Jahr lang. Eine Zeit die ich meinem ärgsten Feind nicht wünsche.
Angefangen hat alles nach genau 14 Lebenstagen, an einem sonnigen Tag Anfang Juni. Meine beste Freundin war gerade zu Besuch, um mich nach der Geburt ein wenig zu unterstützen. Gegen Abend fing der kleine Wurm auf einmal an zu weinen. Mein Mann und meine Freundin, beides selbst erfahrene Eltern, meinten, das sei nicht schlimm, das würde sicherlich gleich vergehen. Aber ich hatte ein ganz komisches Gefühl. Ich spürte, der Kleine hat etwas, aber was nur? Die Windel war sauber, er hatte genug getrunken, sein Bauch war weich, er war bespielt, gekuschelt und ausgeschlafen, dennoch: er weinte. Und von da an weinte er immer mehr, immer öfter und immer lauter. Egal ob morgens, mittags, abends oder nachts. Egal ob satt oder hungrig, müde oder ausgeschlafen, auf dem Arm oder im Bettchen, im Auto oder Kinderwagen, im Pekip oder beim Babyschwimmen, bei Ommi, Mama oder Papa, unser Sohn schrie. Nicht immer und nicht andauernd und natürlich lachte er auch mal und gluckste, doch dann ging es wieder los, teils stundenlang. Ich probierte alles, ich las alles, ich fragte wirklich jeden. Ich verzichtete auf alle Arten von Lebensmitteln, kaufte mir eine Babytrage und wippte stundenlang auf einem Gymnastikball. Ich sprach ihm zu, streichelte ihn, schob ihn Stunden um Stunden im Kinderwagen über „Hubbelwege“ oder im Auto spazieren. Ich spielte mit ihm, lenkte ihn ab, sang ihm Lieder vor und tanzte mit ihm durch die Wohnung. Doch hörte ich auf, ging es wieder los. Nach und nach schwand meine Kraft. Ich hatte seit Wochen und Monaten keine freie Minute mehr gehabt, kein ruhiges Gespräch mehr geführt, kein Buch mehr gelesen, kein Fernsehen mehr geguckt, mich nicht einmal mehr entspannt, denn besonders zwischen 17:00 und 23:00 kam unser Sohn nicht zur Ruhe.
Am Anfang dachte ich, ok, das geht vorbei. Das sind bestimmt nur Bauchschmerzen und die dauern bekanntlich „nur“ 12 Wochen. Aber hattet Ihr mal 12 Wochen ein schreiendes Kind auf dem Arm? Schon nach 3 Tagen dachte ich, das überlebe ich nicht. Doch ich überlebte. Ich überlebte den Sommer, ich überlebte es jeden Morgen um 6:00 aufzustehen, um dann bis 23:00 mein Kind auf dem Arm zu „wibbeln“. Ich überlebte es, im Stehen zu essen, ich überlebte es, kaum mehr Zeit für meinen Mann und meinen anderen Sohn zu haben, ich überlebte es auch, dass unsere Nachbarn reihenweise über ihren Schatten sprangen und uns ansprachen, was denn mit unserem Kind los sei, und ich überlebte es, dass wir vom Campingplatz vertrieben wurden, weil wir die dortige Ruhe störten.
Und dann waren sie endlich vorbei, die ersten 3 Monate! Alles, worauf ich hingearbeitet und wofür ich gelebt hatte, das, was die Strapazen wert war. Yes, ich war nicht untergegangen und ich liebte mein Kind immer noch! Nur einen kleinen Haken hatte die Sache doch noch, denn mein Sohn hörte nicht auf zu schreien. Er machte einfach weiter – einfach weiter. Er hörte einfach nicht auf. Jeden Tag und jede Nacht. Woche um Woche. Monat um Monat. Ich konnte irgendwann nicht mehr. Ich wollte irgendwann nicht mehr. Da liegt dieses Kind vor dir und hört und hört und hört einfach nicht auf. Es macht einfach immer weiter, egal was du tust. Ob du es lieb hast oder nicht, ob du es trägst oder nicht, ob du es fütterst, wickelst oder kuschelst, es schreit und schreit und schreit. Und ich merkte von Tag zu Tag, von Woche zu Woche, von Monat zu Monat, wie ich immer kraftloser, müder und verzweifelter wurde. Im Spiegel sah ich immer abgemagerter aus und die Ringe unter meinen Augen wurden immer tiefer und dunkler. Inzwischen wurden wir nicht nur auf das Baby angesprochen, sondern auch auf mich und mein Aussehen. Zum ersten Mal in meinem Leben passte mir „Size Zero“. Nur leider hatte ich überhaupt keine Lust zu shoppen und half mir deswegen mit ausrangierten Gürteln meiner Stieftochter aus, um meine Hosen einigermaßen zu halten.
Es kam der Herbst, es kam der Winter, es kam Weihnachten. Und im Laufe der Zeit versuchten wir uns an unseren Alltag und unser schreiendes Baby zu gewöhnen. Doch leider und das fällt mir am schwersten zu schreiben, aus Angst und Scham es mir selbst einzugestehen und aus Angst und Scham, dass er es – der heute ein wunderbarer, toller, genialer, einmaliger und absolut liebenswerter und frecher junger Kerl ist – lesen könnte. Aber das ändert nichts daran, in dieser Zeit versiegte die Quelle meiner Liebe. Nicht komplett, aber ich merkte, wie es mir immer schwerer wurde, ihn in dieser Zeit wirklich bedingungslos zu lieben. Ich versorgte ihn, ich kümmerte mich um ihn und ich kuschelte ihn, doch ich merkte wie ein Graben zwischen uns entstand. Und diese Tatsache war für mich fast schlimmer als sein Schreien. Zu merken, dass die Liebe zu meinem eigenen Sohn immer weniger wurde, brach mir das Herz – und ihm den Schädel. Ja ihr lest richtig. Er brach sich wirklich den Schädel. Bei seinem ersten sehr frühen Versuch zu laufen, stürzte er so arg, dass er einen Schädelriss erlitt. Wir merkten es erst gar nicht, da er wie immer einfach nur schrie, bis sein Kopf auf einer Seite bedenklich anschwoll und wir sofort in die Kinderklink fuhren.
Heute sind wir sehr dankbar, dass in diesem Zuge eine Röntgenaufnahme entstand. Denn auf dieser entdeckte seine Patentante, die in tibetischer Medizin ausgebildet ist, etwas das bisher keinem Arzt oder Heiler aufgefallen war oder auch nur als Vermutung ausgesprochen wurde. Wir vereinbarten daraufhin sofort einen Termin bei einer Osteopathin, die uns alle nach nur 3 Behandlungen aus unserem Martyrium befreite. Ich könnte diese Frau bis heute in den Himmel loben und mich strafen, dass wir nicht schon früher dorthin gegangen sind. Wie wir heute wissen, hatte unser Sohn die ganze Zeit einfach „nur“ Kopfschmerzen, ausgelöst durch Druck auf seinen Kiefer. Da er jedoch sehr hart im Nehmen ist und im Grunde ein ganz verspielter Typ, gelang es uns immer wieder, ihn durch Spielen, Herumtragen oder Beschäftigen abzulenken. Doch eben immer nur kurzzeitig und insbesondere sobald wir ihn auch nur versuchten hinzulegen, kamen die Schmerzen wieder und er fing erneut an zu weinen.
Ein Happy end? Gibt es nicht! Denn meinem Mann und mir fällt es bis heute schwer anzunehmen, dass wir nicht früher gemerkt haben, dass ihn Schmerzen plagten, dass wir nicht früher zum Osteopathen gegangen sind, wo es doch so naheliegend ist. Ok, wir haben Ärzte, Heilpraktiker und Heiler gefragt und keiner hat es gesehen, keiner hat es gemerkt, keiner hat es gesagt. Jeder hatte immer irgendwelche Erklärungen und im Nachhinein sind natürlich alle immer schlauer. Doch all das ändert nichts dran, dass es für uns alle einfach eine schreckliche Zeit war und gleichzeitig ändert es auch nichts daran, dass wir unseren Sohn heute über alle Maßen lieben – nicht mehr als seine Geschwister, aber auch nicht weniger. Also irgendwie doch ein Happy end!
Wenn es euch ähnlich geht, empfehle ich euch folgenden Link, denn da nicht in jedem Fall ein Osteopath hilft, findet ihr hier mit Sicherheit eine große Auswahl an weiteren Hilfen. Und nicht zuletzt ein Sorgentelefon, wenn ihr einfach mal mit jemand sprechen wollt, der sich auskennt: http://www.schreibabyhilfe.ch