Mein Lieblingswort ist „schnell“. Ich mache alles immer grundsätzlich schnell. Ich schaue mal schnell im Internet nach. Ich drucke noch mal schnell ein paar Daten aus.  Ich gehe noch mal schnell einkaufen. Ich checke noch mal schnell meine Emails. Ich koche noch schnell ein Essen und rühre noch  schnell eine Nachspeise. Ich mache noch schnell eine Meditation und ein paar Entspannungsübungen. Ich springe noch mal schnell in den Kindersecondhand und fahr noch schnell zur Post. Ich erledige noch schnell ein paar Anrufe und werfe noch schnell eine Waschmaschine an. Ich hole noch schnell die Kinder ab und helfe ihnen schnell bei den Hausaufgaben. Ich lese noch schnell das Buch zu Ende bevor ich dann hoffentlich schnell einschlafe. Schließlich ist morgen auch noch ein Tag. Selbst Auto fahre ich meist zu schnell – ganz zur Freude der Bußgeldstelle. Und damit alles noch viel schneller geht, mache ich am liebsten alles gleichzeitig. Schließlich bin ich eine Frau und dafür bekannt unglaublich multitaskingfähig zu sein. Das dachte ich zumindest immer.

Sogar als mein ältester Sohn seine Geburt sechs Wochen vor  dem geplanten Termin, mit einem vorzeitigen Blasensprung ankündigte, war das im Grunde genau nach meinem Geschmack. Hauptsache schnell. In diesem Fall, sogar schneller als bei den meisten anderen.
Also fuhr mein Mann mich schnell ins Krankenhaus, indem  ich schnell unser Kind kriegen wollte. Natürlich in dem Gedanken, ganz schnell wieder nach Hause zu können um dann ganz schnell eine richtige Mutter-Vater-Kind-Familie zu werden. Weit  gefehlt! Im Krankenhaus angekommen lernte ich, dass fortan eine neue Zeitrechnung mein Leben bestimmen würde: Die Entdeckung der Langsamkeit!

Wir lernen durch Kinder generell unglaublich viel. Wir lernen, dass wir mit viel weniger Schlaf auskommen, als wir es jemals für möglich gehalten hätten. Wir lernen uns über ein ersehntes  Bäuerchen zu freuen. Wir lernen, dass kindliche Körperausscheidungen über Jahre hinweg ein unermüdliches und hochspannendes Gesprächsthema mit unseren Freundinnen werden. Wir lernen, welch ein Geschenk es ist, nur ein einziges Mal für fünf Minuten in Ruhe zu  telefonieren. Wir lernen, dass vieles was uns selbst als Kinder super Spaß gemacht hat, aus der neuen Sicht der Eltern ganz und gar nicht witzig erscheint und verstehen endlich, warum unsere eigenen Eltern häufig so uncool waren. Wir lernen, dass ein erster Zahn, ein erster Löffel Brei, eine erste durchschlafene oder auch durchwachte Nacht uns ebenso weltbewegend erscheint, wie uns nur ein paar Jahre später der erste Freund oder die erste  Freundin unseres Nachwuchses in wahre Panik versetzen kann. Ist der oder die wirklich gut genug für unser Goldstück?
Und das für mich absolut Unglaublichste: die vielen neuen Seiten, die ich durch meine Kinder an mir entdeckt habe. Ich hätte niemals für möglich gehalten, dass es mich begeistern kann, ein völlig verschmiertes Kind abzubusseln, dass es mich zu Tränen rührt, wenn mein Kind zum ersten Mal in den Skibus steigt und wie sehr es mich auf die Palme bringt, wenn mein Mann selig ruhig schnarcht obwohl nebenan unser Kind schreit. Ja, als Eltern lernt man wirklich viel! Manchmal sogar mehr als einem recht ist.

Am meisten lernen wir durch die Eigenschaften unserer Kinder, die den unsrigen so gar nicht entsprechen. In meinem Fall ist es das „Geschenk“  einen Sohn zu haben, für das Wort “schnell” schlichtweg nicht zu existieren scheint. Oder zumindest er diesem Wort eine völlig neue Bedeutung gibt. Manchmal befürchte ich, wir würden gleich in der Zeit zurückreisen, wenn wir uns jetzt auch nur noch einen Hauch langsamer bewegen. Doch so sehr es mich anstrengt meine innere Uhr, meinen inneren Pulsgeber, seinem Rhythmus anzupassen, so sehr steigert sich doch täglich meine Bewunderung für ihn. Ich mit meiner Schnelligkeit und meinem angeblichen Multitasking bin ja meist mehr auf der Flucht, als dass ich jemals ankomme – geschweige denn, dass ich jemals etwas wirklich fertig kriege. Überall Angefangenes, dass dann doch liegen bleibt, weil ich schnell noch mal eben.

Er dagegen lebt in einer erstrebenswerten  Lässigkeit und Ruhe, mit einer unermüdlichen Geduld und einer Zuversicht, dass die Welt schon auf ihn warten wird. Beneidenswert. Ok, er hätte sicherlich schon unzählige Schulbusse und Abgabetermine verpasst, wenn ich nicht ab und zu ein wenig Schwung in die Sache bringen würde. Aber eines ist sicher: Im Gegensatz zu mir besteht bei ihm sicherlich nicht die Gefahr eines Burn outs oder Herzinfarktes. Ich glaube, wenn wir uns zusammen tun, sind wir sogar ein echt gutes Team. Jeder kann von dem Anderen etwas wirklich Wertvolles lernen.

Darum habe ich meinen Sohn heute Morgen gefragt: Wie würdest du mich beschreiben, als langsam oder als schnell? Seine Antwort: Langsam! Immer wenn ich Dich um etwas bitte machst du erst noch 1.000 andere Dinge und ich muss auf Dich warten.
Ich glaube, darüber werde ich jetzt erstmal in Ruhe nachdenken.